Mannwerdung „hinter Mauern“. Internatserziehung und Männlichkeit(en) in Deutschland und England, 1870-1930

Bearbeitung: PD Dr. Daniel Gerster
gerster@zeitgeschichte-hamburg.de

Die Frage, was einen Jungen zum „Mann“ werden ließ, war in den bürgerlichen Gesellschaften Europas im Ausgang des 19. Jahrhunderts heftig umstritten. Dazu trugen nicht nur divergierende politische, soziale und religiöse Weltsichten und deren unterschiedliche Männlichkeitsvorstellungen bei, sondern auch die (Neu-)Entdeckung der „Jugend“ als eigenständige Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsensein. Vor dem Hintergrund der geschilderten Konfliktlage wird im Rahmen des Forschungsvorhabens untersucht, wie in den Jahrzehnten zwischen 1870 und 1930 „Männlichkeit(en)“ in der Internatserziehung konzipiert und Mannwerdung in ausgewählten Anstalten im Deutschen Reich und in England praktiziert worden ist. Internate sind im Wesentlichen durch die Zusammenlegung von schulischer und außerschulischer Erziehung am selben Ort, eine hohe Zugangsbeschränkung sowie eine eigene Gemeinschaftsidentität gekennzeichnet. Sie bilden folglich in der Sozialisation von Jugendlichen eine einzigartige Schnittstelle zwischen Schule, Peergroup und Familien. Internate eignen sich daher besonders, um beispielhaft den Wandel von Vorstellungen und Praktiken der Mannwerdung in Relation zu sozialen Kategorien wie Klasse, Religion oder Nation sowie in Rückbindung an gesellschaftliche Entwicklungen wie Liberalisierung oder Industrialisierung herauszuarbeiten. Die Untersuchung erfolgt anhand von ausgewählten Internaten wie dem traditionellen Jungeninternat Harrow in England, der Landesschule Pforta bei Naumburg und dem katholischen Jungeninternat Metten in Niederbayern. Sie kombiniert im Wesentlichen drei methodische Herangehensweisen: eine Erhebung von sozialen Strukturdaten der einzelnen Internate, eine semantische Analyse von Beiträgen verschiedener Akteure der Internatserziehung zu den Themen „Mann“ und „Mannwerdung“ sowie eine Untersuchung der Praktiken der Mannwerdung in den ausgewählten Internaten. Je nach Methode greift die Studie auf unterschiedliche Quellen wie Schülerlisten, Rektorenreden und Schulzeitschriften, Hausregeln und Schulordnungen, Strafvermerke und Tagebucheinträge zurück. Durch das Forschungsprojekt soll in dreifacher Hinsicht ein Beitrag zur historischen Debatte geleistet werden: Erstens zur historischen Bedingtheit von Männlichkeitsvorstellungen und -praktiken gerade auch im Kontext der Sozialisation von Jugendlichen gehobener sozialer Schichten, die im Wesentlichen Adressaten und Klienten der untersuchten Internate waren. Zweitens zum wandelhaften Charakter der Epoche zwischen 1870 und 1930, der im relationalen Verhältnis von „Männlichkeit(en)“ zu anderen Entwicklungen der Zeit wie sozialen Umbrüchen, technischen Neuerungen, Kriegen und Krisen beschrieben werden soll und drittens zur Diskussion um nationale Differenzen und Verflechtungen von europäischen Gesellschaften in der Epoche durch einen transnationalen Vergleich von „Männlichkeit(en)“ im Deutschen Reich und England.

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