Zum Verhältnis von sozialer Realität und dichterischer Fiktion im Werk von Schriftstellern 1930-1950 (Hermann Kasack, Felix Hartlaub, Hans Erich Nossack)

Bearbeitung: Joachim Szodrzynski

Forschungslinie: Der Nationalsozialismus und seine „zweite Geschichte“

Zentrales Anliegen der Arbeit ist die Rekonstruktion der Lebensbedingungen und Bewusstseinslagen einer Anzahl nicht nationalsozialistischer Intellektueller (Schriftsteller, Journalisten, Lektoren, Verleger) in den letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren.

Wie erlebten sie – im Kontrast zur Euphorie nach den Blitzkriegen der Wehrmacht – die wachsende Depression der Zivilbevölkerung im Luftkrieg? Wandelte sich ihr Denken und Schreiben während des „Dritten Reiches“? Welche Bedeutung maßen sie ihrem in der Regel selbstgewählten Dableiben in einem gleichgeschalteten Kulturbetrieb bei, der sie allenfalls in irgendwelchen Nischen duldete, ihre Wirkungsmöglichkeiten aber massiv einschränkte? Wie gingen sie damit um, als sie – infolge des verlorenen Krieges – unversehens ihre Selbstdefinition als NS-Kritiker mit der von den Besatzungsmächten zugewiesenen Rolle eines besiegten Deutschen (und damit Nationalsozialisten) konfrontiert sahen? Welche persönlichen und (kultur-)politischen Erwartungen hegten sie für die Nachkriegszeit und in welchem Verhältnis standen sie zu denen, die nach Kriegsende durch ihre tatsächliche Emigration einen höheren moralischen Status beanspruchten als die Daheimgebliebenen?

In der „Literatur der Not“ manifestierte sich der Anspruch „innerer Emigranten“, auch und gerade unter erschwerten Bedingungen an humanen Werten und Normen festhalten und diese über die NS-Zeit hinwegretten zu wollen.

Hieraus ergibt sich ein weiteres Anliegen der Arbeit, die Untersuchung der „Not der Literatur“. Indem sich die nicht nationalsozialistischen Literaten keine geringere Aufgabe stellten als die Bewahrung der Humanität angesichts des offenen Zivilisationsbruchs, überfrachteten sie Literatur und Sprache mit Lasten, denen diese kaum gewachsen waren. Jedenfalls ermöglichte der Rekurs auf christliche oder fernöstliche Heilslehren ebenso wenig eine „neue“, gegen den Nationalsozialismus resistente Sprache und Literatur wie das Ausweichen in historische Kulissen und Kostüme oder die Flucht in die zeitlosen Konflikte griechischer Mythologie. Andererseits hätte das Verstummen, der Rückzug ins Schweigen das literarische Feld den überzeugten NS-Literaten überlassen. Und immerhin wurde die „Sklavensprache“ literarischer Oppositioneller von einer bildungsbürgerlichen Leserschaft, die es gelernt hatte, auch zwischen den Zeilen zu lesen, durchaus verstanden und konnte der allgemeinen geistigen Desorientierung und Isolation entgegenwirken.

Um dieses Spannungsverhältnis geht es: Inwieweit implizierte Dableiben immer auch Mitmachen? Waren die propagierten Strategien zur Rettung humaner Werte via Literatur überhaupt praktikabel oder dienten sie unfreiwillig doch primär der Legitimation des Regimes und der Selbstbeschwichtigung der in Deutschland gebliebenen Literaten? Anhand der (literarischen) Tätigkeit einer überschaubaren Anzahl von „Geistigen“ sollen die Ambivalenzen insbesondere des Bildungsbürgertums gegenüber der NS-Herrschaft ausgeleuchtet, ihre Denk- und literarischen Ver- und Bearbeitungsmuster offengelegt werden.

Die Arbeit stützt sich vor allem auf private Quellen, d.h. auf Tagebücher, Briefe, Selbstverständigungstexte einzelner Autoren, die ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Die Nachlässe (Nossack, Kasack, Hartlaub) befinden sich in ihrer Mehrzahl im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar, mitunter auch in Privatarchiven (Hans H. König, Wolfgang Kasack, Christoph Schmid). Im zweiten Teil werden zusätzlich literarische Texte herangezogen, an denen die Be- und Verarbeitung der Kriegs- und Nachkriegserfahrung untersucht werden soll.

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