Bearbeitung: Marc-Simon Lengowski (Betreuung: PD Dr. Frank Bajohr)
Forschungslinie: Der Nationalsozialismus und seine „zweite Geschichte“
Unmittelbar nach der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reiches“ am 8. Mai 1945 beschlagnahmten die Alliierten das Vermögen der NSDAP, ihrer Nebenorganisationen sowie den Privatbesitz zehntausender Nationalsozialisten. Zu diesem Zweck und zur weiteren Verwaltung der Vermögenswerte erließen sie zahlreiche Gesetze, die in allen vier Besatzungszonen mit abweichenden Ausführungsbestimmungen versehen wurden und so auf verschiedene Weise zur Anwendung kamen.
Die verwalteten Werte waren beträchtlich: In den drei westlichen Zonen betrug die Summe etwas über 30 Milliarden Reichsmark – Bargeld, Immobilien, Wertgegenstände und Forderungen. In Hamburg wurden bis November 1947 alleine an Partei- und Organisationsvermögen knapp 59 Millionen RM erfasst, dazu 197 Grundstücke der NS-Organisationen. Zusätzlich mussten über 350 Grundstücke und Immobilien des ehemaligen Deutschen Reiches in der Hansestadt unter neue Verwaltung gestellt werden, war das Deutsche Reich als Rechtsperson doch nicht mehr handlungsfähig.
Die Verwaltung dieser Vermögenswerte teilte sich anfangs die „Property Control Section“ der britischen Militärregierung mit dem Oberfinanzpräsidenten. Ab November 1947 übernahm das neu eingerichtete „Landesamt für Vermögenskontrolle“ sukzessive den größten Teil dieser Aufgaben, während das ehemalige Reichs- und Wehrmachtsvermögen weiter bei der Oberfinanzdirektion verblieb. Das NS-Vermögen wurde bis 1954 über drei verschiedene, zonenweit arbeitende Rückerstattungsausschüsse entweder an seine vorigen Besitzer zurückerstattet, an demokratische Nachfolgeorganisationen übertragen oder schließlich der Stadt Hamburg zugewiesen. Gerade in diesem Prozess zeigt sich, dass es keineswegs um eine Wiederherstellung des status quo ante ging, sondern dass entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft der Bundesländer und die Aufgabenteilung im bundesdeutschen Föderalismus vorgenommen wurden. War das ehemalige NS-Vermögen im Wesentlichen eine Frage für die Länderregierungen und die Besatzungsmächte, sorgte das ehemalige Reichs- und Wehrmachtsvermögen stattdessen für eine jahrzehntelange Auseinandersetzung zwischen der Stadt Hamburg und dem Bund, die beide möglichst weitgehende Ansprüche geltend machen wollten.
Dieser Vermögenstransfer, der quantitativ einen gewaltigen Umfang annahm, ist bislang noch für keine Zone und kein Bundesland geschichtswissenschaftlich untersucht worden und soll in diesem Projekt am Beispiel Hamburgs in der britischen Zone nachgezeichnet werden. Neben der schon geschilderten Neuverteilung von Besitz und der damit einhergehenden Umgestaltung öffentlicher Aufgaben ist die Rolle der städtischen Verwaltung von besonderem Interesse. So versuchte sie in Hamburg, sich einen großen Teil derjenigen Aufgaben zurück zu holen, die ihnen im Nationalsozialismus die Wohlfahrtseinrichtungen der NSDAP streitig gemacht hatten. Besonders deutlich wird dies in der staatlichen Wohlfahrt und Jugendpflege, wo in den Jahren zuvor die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt und die Hitler-Jugend wesentliche Bereiche usurpiert hatten. Aber auch an anderen Stellen wird deutlicher Gestaltungswillen erkennbar, wie in der Bevorzugung der Einheitsgewerkschaften gegenüber den vereinzelt neu gegründeten Partikulargewerkschaften in der Tradition der Weimarer Republik.
Der exemplarische Blick des Projektes eignet sich also aus einer größeren Perspektive auch zur Untersuchung derjenigen Kriterien, nach denen das NS-Herrschaftssystem, das oft weder eine klare Trennung von Staats- und Parteiorganisationen noch von Reichs- und Regionalinstitutionen kannte, in ein neu strukturiertes, föderales und demokratisches Gemeinwesen umgewandelt wurde, und beleuchtet damit ein bisher wenig betrachtetes Feld der Geschichte der frühen Bundesrepublik.