Bearbeitung: Jessica Erdelmann, M.A.
Projektleitung: Kirsten Heinsohn
heinsohn@zeitgeschichte-hamburg.de
Forschungslinie: Der Nationalsozialismus und seine „zweite Geschichte“
Um Vermögensverschiebungen zu verhindern, ordneten die Alliierten schon zu Beginn ihrer Besatzung eine umfangreiche Vermögenskontrolle an. Mit der Allgemeinen Vorschrift Nr. 1 zur Ausführung des Gesetzes Nr. 52 blockierten sie unter anderem das Privat- und Unternehmensvermögen von Personen, die im nationalsozialistischen Herrschaftssystem eine verantwortliche Position eingenommen hatten. Auch im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens konnten bis einschließlich Kategorie IV Vermögenssperren eingeleitet werden. Sehr viele Personen konnte deshalb nach 1945 (vorübergehend) nicht mehr unmittelbar auf ihre Vermögenswerte zugreifen. Unter ihnen befanden sich nicht nur zahlreiche NS-Funktionäre, sondern auch höhere Beamte, Aufsichtsrats- und Vorstandsmitglieder von Industrieunternehmen und Banken, die auf vielfältige Weise mit den Spitzen des NS-Staats- und Parteiapparates kooperiert hatten.
In dem von der DFG geförderten Forschungsprojekt wird am Beispiel der Städte Hamburg und München der Umgang mit dem Privat- und Unternehmensvermögen nach 1945 systematisch vergleichend untersucht. Die Studie arbeitet primär mit sozial- und politikgeschichtlichen Methoden. Punktuell werden aber auch kulturgeschichtliche Perspektiven integriert. Im Mittelpunkt stehen zum einen die unterschiedlichen lokalen politischen, juristischen und administrativen Entscheidungsprozesse. Zum anderen sollen aber vor allem der individuelle Verlauf sowie die Auswirkungen der vermögensrechtlichen Maßnahmen nachgezeichnet und mit soziographischen Angaben über den Werdegang der Eigentümerinnen und Eigentümer verknüpft werden. Gefragt wird, inwiefern Vermögenskontrolle und finanzielle Sühnemaßnahmen im Rahmen der materiellen Entnazifizierung die Lebensläufe (ehemaliger) lokaler Funktionseliten in der Bundesrepublik beeinflussten. Bei welchen Personen markierten die Jahre nach 1945 durch einen nicht revidierten Einzug des Vermögens oder hoher Geldstrafen einen signifikanten materiellen und sozialen Bruch? Was unterschied diese Personen von jenen, die nach 1945 auch materiell an den früheren sozialen Status anknüpfen und frühere Vermögenswerte in ihrem Besitz erhalten konnten? Geklärt werden soll in diesem Zusammenhang auch, inwieweit die materielle Entnazifizierung durch die Debatten in Medien und Nachkriegsinstitutionen über Nutznießung im Nationalsozialismus geprägt war.