"Tippelei" Auf der Walz durch Deutschland und die Schweiz, 1928
Hellmuth Lasch wurde 1910 als Jüngstes von vierzehn Kindern in Hamburg-Barmbek geboren. Seine Mutter arbeitete als Waschfrau, sein Vater war von Beruf Buchbinder. Hellmuth Lasch beschreibt sein Elternhaus als "proletarisch". Nach der Entlassung aus der Volksschule im Jahr 1924 trat er der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) bei und begann eine Lehre zum Goldschmied. Diese musste er jedoch nach drei Jahren abbrechen, da er mit seinem Lehrlingsgehalt seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten konnte. In dieser Zeit wechselte er von der SAJ in die Kommunistische Jugend. Nach einem Jahr als Hilfsarbeiter in der Metallbranche wurde er 1928 arbeitslos.
Mehrere Jahre lang "tippelte" er während des Sommers als Wandergeselle durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. In der Retrospektive bezeichnet er die "Tippelei" als die "schönsten Jahre" seines Lebens. Im Winter leistete er Parteiarbeit für die Kommunistische Partei (KPD). Während des Nationalsozialismus arbeitete er zunächst als Briefträger in Hamburg. Im September 1937 heiratete er und bekam eine Anstellung als Schlosser bei der Schiffswerft Blohm & Voss, später wechselte er die Stelle und war für die Vereinigten Deutschen Metallwerke tätig. Mit seiner Frau, die ebenfalls kommunistisch engagiert war und als Verkäuferin arbeitete, bekam er drei Kinder.
Nach Kriegsende war er am (Wieder-)Aufbau der KPD beteiligt, wurde jedoch 1951 von der Partei ausgeschlossen. Er war viele Jahre als Kursleiter bei der Jugendweihe tätig. 1973 ging er in Rente und unternahm mit seiner Frau etliche Reisen, bis sich das Paar 1976 trennte. Hellmuth Lasch engagierte sich kulturell und politisch, unter anderem beim Winterhuder Stadtteilzentrum.
Die Gesellenwanderung – auch Walz oder Tippelei genannt – bezeichnet die räumliche Mobilität von Handwerksgesellen. Etabliert hat sich diese Migrationsform im späten Mittelalter. Bis ins 18. Jahrhundert waren die Wanderjahre Voraussetzung für die Zulassung zünftiger Handwerker zur Meisterprüfung. Aber auch danach war die Walz für viele Gesellen eine selbstverständliche Phase in der Berufslaufbahn, um neue Fachkenntnisse zu erwerben, Startkapital für das eigene Unternehmen zu verdienen, in der Fremde Lebenserfahrungen zu sammeln oder Abenteuer zu erleben. In der sozialen Tradition der Gesellenwanderung, die eine legitime Form der Mobilität darstellte, konnten auch im 20. Jahrhundert noch viele junge Männer ein Migrationsvorhaben verwirklichen [1]. Während der Wirtschaftskrisen nach dem Ersten Weltkrieg bot das Wandern arbeitslosen Männern – wie Hellmuth Lasch – eine von staatlicher Seite unterstützte Möglichkeit, Arbeit und Verpflegung zu finden. Die öffentliche Wahrnehmung der "Tippelbrüder" schwankte dabei zwischen ehrenwerter Handwerkstradition, Bettelei und Landstreichertum [2].
[1] Sigrid Wadauer: Die Tour der Gesellen. Mobilität und Biographie im Handwerk vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Frankfurt/New York 2005. Pavla Vošahlíková: Auf der Walz. Erinnerungen böhmischer Handwerksgesellen. Wien u.a. 1994, S. 9-30.
[2] Sigrid Wadauer: Vazierende Gesellen und wandernde Arbeitslose. Österreich ca. 1880-1938, in: Annemarie Steidl u.a. (Hg.): Übergänge und Schnittmengen. Arbeit, Migration, Bevölkerung und Wissenschaftsgeschichte in Diskussion, Wien u.a. 2008, S. 101-132.
Archiv: Werkstatt der Erinnerung an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg
Signatur: FZH/WdE 195
Interviewer: Alfons Kenkmann
Interviewtermin: 25.08.1993
Interviewlänge: 7 Std. 33 Min.
Sammlungsschwerpunkt:
Verfolgung im Nationalsozialismus / Kommunisten
Bilder:
Bild Überblickseite und oben: FZH/WdE 195, Wandergesellen mit Mandoline vor dem Schloss Schönbrunn, Wien 1929.
Bild Interview: FZH/WdE 180, Wandergesellen auf Dachterrasse einer Herberge beim Musizieren. o.O, o.D. [um 1927-31].