1979 erschien im Carl Ueberreuter Verlag das Buch „Sonderapell. 1945 – ein Mädchen berichtet“ von Gräfin Sybil Schönfeldt. Die Autorin beschreibt darin ihre Erfahrungen als „Arbeitsmaid“ im Reichsarbeitsdienst (RAD). 1931 wurde in der Weimarer Republik der Freiwillige Arbeitsdienst (FAD) eingeführt, ein Programm der Regierung Brüning, das die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung durchführte. Unter den Nationalsozialisten wurde der Reichsarbeitsdienst (RAD) im Juni 1935 zunächst für alle jungen Männer zwischen 18 und 25 Jahren für sechs Monate verpflichtend. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges galt dies auch für junge Frauen, die als „Arbeitmaiden“ bezeichnet wurden.
Das Buch „Sonderappell 1945“, das 1980 auf die Ehrenliste des Europäischen Jugendbuchpreises kam, ist seit 2010 im Bestand der Bibliothek und Teil der „Sammlung Arbeitsdienst“, die von Ehrhart Lotter der FZH übergeben wurde. Das Konvolut umfasst etwa 750 Bücher und mehrere Meter Archivmaterial. Ehrhart Lotter hatte bei einem Spaziergang im Langenhorner Raakmoor einen Grenzstein des FAD entdeckt und begann daraufhin, durch Aufrufe in Stadtteilzeitungen nach Zeitzeug:innen zu suchen, die ihm Unterlagen und Bücher überließen und ihre Erinnerungen teilten. Die Sammlung beinhaltet Unterrichtsmaterialien und -vorgaben oder Dienstvorschriften, aber auch verschriftlichte Erinnerungen der Zeitzeug:innen an den RAD. Außerdem sind Dissertationen und Abhandlungen zum Thema „Arbeitsdienst“, zeitgenössische Literatur, sowie Erlebnisberichte eines Jahrgangs von Arbeiter:innen in der Sammlung vorhanden. Besonders oft finden sich verklärende Berichte ehemaliger „Arbeitsmaiden“, die sich fast wie Werbetexte für das Pflichtjahr lesen. Sybil Gräfin Schönfeldt hingegen lieferte mit ihrem Roman „Sonderappell“ ein kritisches Gegenbeispiel. Nachdem sie Ende 1944 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen worden war und eine Tätigkeit als Gruppenführerin verweigert hatte, wurde sie in eine Munitionsfabrik versetzt. Nach der Veröffentlichung ihres Buches und weiterer Texte über diese Zeit schrieben ihr u.a. ehemalige RAD-Lagerführerinnen und beschimpften Schönfeldt als „Nestbeschmutzerin“. Als das Buch in den 1980er Jahren als TV-Serie verfilmt werden sollte, drohte ein Netzwerk ehemaliger Arbeitsdienstführer dem Sender, der daraufhin einknickte, so schreibt Schönfeldt in einem ZEIT-Artikel 1985 (Schönfeldt, Sybil Gräfin: Ich war Arbeitsmaid, DIE ZEIT, 20.9.1985; auch auf ZEIT ONLINE ).
Sybil Gräfin Schönfeldt: Sonderapell. 1945 – ein Mädchen berichtet, München 1979 (Signatur Bibliothek III Ei 626). Die Sammlung von Ehrhart Lotter "Arbeitsdienst-Archiv Hamburg" hat die Archivsignatur NEU D 008.
(Dorothee Mateika)