Fundstück #3

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Fundstück #3, Januar 2022

„Berichte aus Mitteldeutschland“


Neben allen Standardtiteln, die für eine zeitgeschichtliche Bibliothek unerlässlich sind, verfügt die Bibliothek der FZH über diverse seltene Publikationen, die längst selber Quellenwert beanspruchen.

So etwa die Broschüre „Berichte aus Mitteldeutschland“, 1950 (?) von der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) herausgegeben. Die KgU wurde 1948 u. a. von Rainer Hildebrandt, Peter Lorenz und Ernst Benda, Studenten an der soeben gegründeten FU Berlin, in West-Berlin gegründet. Ursprünglich war intendiert, über die Menschenrechtsverletzungen in der ‚sowjetischen Zone‘ aufzuklären und insbesondere einen Suchdienst für ‚Verschwundene‘ (d. h. Verhaftete, gegebenenfalls in die Sowjetunion Verschleppte) zu etablieren. Frühzeitig bemächtigten sich westliche Dienste der Gruppe, vor allem die CIA. Neben sichtbaren Aktionen (Flugblätter, Aktion „F“ für Freiheit) kam es schnell auch zu klandestinen Tätigkeiten: Es wurden DDR-Bürger*innen als V-Leute für westliche Dienste rekrutiert, es wurde zielgerichtete „Zersetzungsarbeit“ (so die KgU-interne Eigenbeschreibung) bis hin zur Sabotage betrieben, und z.T. griff die Gruppe auch zu gewaltsamen Aktionen oder bereitete diese zumindest vor.

Die „Berichte aus Mitteldeutschland“ adressierten primär ein westliches Publikum. In der Broschüre zeigt sich das Widersprüchliche, das der KgU eignete. Da wird einerseits, sachlich zutreffend, die kasernierte Volkspolizei als Vorform einer ostdeutschen Armee beschrieben. Die sowjetischen Speziallager, zum Teil am Ort ehemaliger Konzentrationslager wie Buchenwald und Sachsenhausen betrieben, werden korrekt aufgelistet. Andererseits überzeichnet und verfälscht die KgU aber gnadenlos, wenn es etwa über die Speziallager, die allerdings konsequent als ‚Konzentrationslager‘ bezeichnet werden, geschichtsklitternd heißt: „TBC ersetzt Zyklon-B“, oder wenn ein schweres Bergwerkunglück mit 190 Toten bei der Wismut herbeiphantasiert wird. Ein interessanter Aspekt: In der Broschüre wird noch gegen (sic!) eine Übersiedlung bzw. Flucht der Ostdeutschen in die junge Bundesrepublik agitiert.

Die KgU agierte, insbesondere seit Ernst Tillich die Leitung übernahm, immer extremer, so dass man selbst im damaligen Westen, mitten im Kalten Krieg, deutlich auf Distanz zu ihr ging. In der „Zeit“ und im „Spiegel“ erschienen kritische Artikel. So erhob der „Spiegel“ 1958 den Vorwurf, die KgU habe junge Ostdeutsche vom sicheren Westsessel aus bedenkenlos rekrutiert und gefährdet (man denke an die junge Lyrikerin Edeltraut Eckert, die 1955 im Alter von 25 Jahren in Haft starb). 1959 wurde die KgU auf Betreiben des Berliner Senats und des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen offiziell aufgelöst.  Als faszinierendes Dokument aus der Frühphase des Kalten Krieges steht die Broschüre den Nutzer*innen der Bibliothek nunmehr zur Verfügung.

(Hartmut Finkeldey)

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