Sexualisierte Gewalt an Kindern. Umkämpftes Wissen in der Bundesrepublik, 1980-2010

Bearbeitung: Ruth Pope, M.A.
pope@zeitgeschichte-hamburg.de

Forschungslinie: Jüngere und jüngste Zeitgeschichte

In meinem Promotionsvorhaben untersuche ich die Produktion und Zirkulation von Wissen über sexualisierte Gewalt an Kindern in der Bundesrepublik ab den 1970er Jahren. Im Zentrum stehen dabei Initiativen und Beratungsstellen gegen sexualisierte Gewalt an Kindern, die in den 1980er Jahren im Umfeld der Neuen Frauenbewegung gegründet wurden. In diesen Beratungsstellen – so die These – entstand durch Wissensproduktion „von unten“ viel von dem, was wir heute über sexualisierte Gewalt an Kindern wissen. Durch die Arbeit mit Betroffenen generierten die Beratungsstellen in ihrer alltäglichen Praxis Wissen über Ausmaß, Ursachen und Folgen von sexualisierter Gewalt an Kindern sowie über mögliche Therapie- und Präventionsstrategien. Auf der Grundlage stellten sie bisherige Deutungen über sexualisierte Gewalt an Kindern, wie sie bis dahin von Medizin, Psychiatrie und Sexualwissenschaft angeboten wurden, in Frage und beeinflussten durch die Verbreitung ihres Wissens den Umgang mit sexualisierter Gewalt an Kindern in Wissenschaft, Medien, Politik und Justiz.

Die zeitgeschichtliche Forschung zur Geschichte der sexualisierten Gewalt an Kindern befindet sich noch in den Anfängen. Neben Aufarbeitungsstudien zu einzelnen Institutionen sind vor allem Arbeiten zur sogenannten Pädophilenbewegung und zu Diskursen um kindliche Sexualität im links-alternativen Milieu der 1970er und 1980er Jahre entstanden. Abseits davon hält sich das – bisher empirisch wenig unterfütterte – Narrativ, es seien vor allem die Neue Frauenbewegung und die Arbeit feministischer Beratungsstellen gewesen, die erstmals konsequent die Perspektive der Betroffenen in den Vordergrund gestellt und so den gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt an Kindern nachhaltig verändert hätten.

Dieses Narrativ soll überprüft, aber nicht vorschnell übernommen werden. Deswegen werden neben den feministischen Beratungsstellen als Orte der Wissensproduktion nicht-feministische Initiativen und Organisationen hinzugezogen, etwa Beratungseinrichtungen des Kinderschutzbundes und von pro familia sowie konfessionell gebundene Ehe- und Familienberatungen. In einem Dreischritt soll untersucht werden, 1. auf welches vorhandene Wissen die Beratungseinrichtungen zurückgriffen, welches sie adaptierten und welches sie als ungültig zurückwiesen; 2. wie sie eigenes Wissen über sexualisierte Gewalt an Kindern, über die Verbreitung und Folgen, Beratungs- und Therapieansätze und Präventionsstrategien produzierten; 3. wie von den Beratungseinrichtungen ausgehend dieses Wissen zirkulierte und sich wie und warum gegenüber anderen Deutungen von sexualisierter Gewalt an Kindern durchsetzte.

Damit möchte das Promotionsvorhaben im Sinne einer „Problemgeschichte der Gegenwart“ die seit dem Jahr 2010 anhaltende öffentliche Debatte um sexualisierte Gewalt an Kindern historisieren und zeigen, durch welche historischen Wissensformen und Deutungen sie vorstrukturiert ist. Zudem schließt das Projekt eine Forschungslücke in der Geschichte der Neuen Frauenbewegung und ihrer Wirkungen und will darüber hinaus als Wissensgeschichte grundsätzliche Überlegungen zum Verhältnis von aktivistischem, partizipativem Wissen „von unten“ und wissenschaftlichem „Expertenwissen“ in der Bundesrepublik ab den 1970er Jahren anstellen.

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