Vortragsreihe

Mehr als eine Randnotiz. Die extreme Rechte nach 1945

Vortragsreihe

Mehr als eine Randnotiz. Die extreme Rechte nach 1945

FZH, Lesesaal

Die deutsche Zeitgeschichtsforschung hat - im Gleichklang mit der Mehrheit der Gesellschaft - der extremen Rechten nach 1945 lange Zeit zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Seit der Selbstenttarnung des rechtsterroristischen NSU im Jahr 2011 ist ein gesteigertes Interesse in der Gesellschaft und mit ihr auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften an der Thematik zu beobachten. Zentral ist hierbei die Einsicht, dass die extreme Rechte in der Bundesrepublik zu keinem Zeitpunkt nur eine Randnotiz war und ist. Ihre Geschichte ist vielmehr stets auf das Engste mit der Entwicklung der Gesellschaft und ihrer politischen Kultur verknüpft.

In der Vortragsreihe präsentieren sechs Historiker:innen die Ergebnisse ihrer aktuellen Forschung zur extremen Rechten. Sie sprechen über die Bedeutung von Rassismus und Antisemitismus für das rechte Denken und Handeln, über die Entwicklung des Rechtsterrorismus und das Versagen von Polizei und Staatsgewalt sowie über den Zusammenhang von rechter Gewalt, (ost-)deutscher Transformationserfahrung und Erinnerungskultur.

Die Vortragsreihe findet in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg und der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen (SHGL) statt. Beide Einrichtungen kooperieren außerdem in dem Forschungsprojekt der FZH „Hamburg rechtsaußen. Rechtsextreme Gewalt- und Aktionsformen in, mit und gegen städtische Gesellschaft 1945 bis Anfang der 2000er Jahre“.

Die Vorträge wurden aufgezeichnet und können hier nachgehört werden (der Vortrag von Carsta Langner am 7.12. wurde nicht aufgezeichnet).

Die Reihe ist auch Teil des Allgemeinen Vorlesungswesen der Universität Hamburg.

Donnerstag, 19. Oktober 2023, 18.30 Uhr

Franka Maubach (Berlin): Rechte Gewalt und Rassismus-Erfahrungen im Nachkriegsdeutschland. Überlegungen zu einer integrierten Geschichte

Moderation: Daniel Gerster (Hamburg)

In der NS-Forschung wurde der Ansatz einer integrierten Geschichte, die Täter und Opfer, aber auch Bystander umfasst, bereits vor Jahrzehnten von Saul Friedlander etabliert. Für Forschungen zur radikalen Rechten und zu rechter Gewalt fehlt eine solche Perspektive. Hier wie im medialen Diskurs dominierte lange der Blick auf die Täter:innen, während die Erfahrungen der Betroffenen jenseits ihrer Communities kaum repräsentiert waren. In dem Vortrag soll für eine solche integrierte Geschichte rechter Gewalt plädiert werden. Sie ermöglicht, ein seit Jahrzehnten virulentes, dabei oft als randständig betrachtetes Phänomen als gesamtgesellschaftliches zu begreifen. Sie erlaubt zudem, regionale wie ost- und westdeutsche Spezifika zu identifizieren und zu unterscheiden. Dafür erweist sich der mikrohistorische Zugriff als Mittel der Wahl, weil anhand konkreter Fallbeispiele gesamtgesellschaftlich relevante Kontexte ausgeleuchtet werden können. An vier Beispielen aus der ost-westdeutschen Geschichte vor und nach 1989/90 – darunter Hamburg, wo 1980 Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân bei einem Brandanschlag starben – wird dieser Zugriff ausprobiert und sein Nutzen sondiert.

Die Aufzeichnung (Audio) des Vortrags kann hier gehört werden.

Donnerstag, 2. November 2023, 18.30 Uhr

Patrick Wagner (Halle): Als der Staat sein Gewaltmonopol preisgab. Polizei und rechte Straßenmobs in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft der 1990er Jahre

Moderation: Kirsten Heinsohn (Hamburg)

 Das hohe Niveau rechter Gewalt war während der 1990er Jahre ein gesamtdeutsches Phänomen. Dennoch bildete diese Gewalt in Ostdeutschland eigene Qualitäten aus: Sie fand besonders häufig in Form offener Mob-Gewalt im öffentlichen Raum statt, sie wurde dort regelmäßig von klatschenden Gaffern in großer Zahl unterstützt, und die Polizei bzw. deren politische Führung wichen immer wieder vor dieser Gewalt zurück. Das staatliche Gewaltmonopol blieb in den „neuen Bundesländern“ ab 1990 über lange Zeit prekär. Patrick Wagner sucht in seinem Vortrag Antworten auf die Frage, warum die Polizei als institutionelle Trägerin des Gewaltmonopols in vielen ostdeutschen Gemeinden die Kontrolle über die öffentlichen Räume verlor. Anhand polizeiinterner Debatten und Dokumente, z.B. zum symbolträchtig desaströsen Einsatz in Rostock-Lichtenhagen 1992, verortet er das Agieren der ostdeutschen Polizei im Kontext der gesellschaftlichen Transformationskrise und der polizeispezifischen Transformationserfahrungen. Für Westdeutsche bietet das Thema im Übrigen wenig Grund zum „Ossi-Bashing“ – denn die folgenschwersten Fehler machten in der Regel von West nach Ost transferierte Führungsbeamte und Politiker.

Die Aufzeichnung (Audio) des Vortrags kann hier und in der Mediathek von Deutschlandfunk Nova gehört werden.

Donnerstag, 23. November 2023, 18.30 Uhr

Uffa Jensen (Berlin): Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik. Der antisemitische Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke

Moderation: Kerstin Thieler (Hamburg)

Am 19. Dezember 1980 wurden Shlomo Lewin, der ehemalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Nürnberg, und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in ihrem Haus in Erlangen erschossen. Statt den Spuren nachzugehen, die zur rechtsextremistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“ führten, konzentrierten sich die Ermittler lange auf das Umfeld Lewins. Der Doppelmord war Teil einer Welle von rechtem Terror im Jahr 1980, bei der 18 Menschen  ermordet und Hunderte verletzt wurden – auch zwei der Täter starben. Wie all diese Gewalttaten wurde auch der Doppelmord kaum Teil des bundesrepublikanischen Gedächtnisses. Uffa Jensen rekonstruiert die Tat und setzt sich mit der Wehrsportgruppe auseinander. Er erinnert an die Opfer und hebt die Bedeutung von Antisemitismus für diesen Gewaltakt, aber auch für dessen mangelhafte Aufarbeitung und fehlende Erinnerung hervor. Von zentraler Bedeutung ist schließlich die Frage nach den Konsequenzen, die durch die mangelhafte Erinnerung an rechte Gewalt für die Gesellschaft bis in die Gegenwart entstehen.

Die Aufzeichnung (Audio) des Vortrags kann hier und in der Mediathek von Deutschlandfunk Nova gehört werden.

Donnerstag, 7. Dezember 2023, 18.30 Uhr

Carsta Langner (Jena): Unerhörtes Schweigen? Über die (Nicht-)Wahrnehmung rechter Gewalt in der (post-) sozialistischen Umbruchsgesellschaft Ostdeutschlands

Moderation: Knud Andresen (Hamburg)

Noch dreißig Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten werden Rassismus und rechte Gewalt als ein vorrangig ostdeutsches Phänomen gedeutet. Entsprechend wurde nach den Wahlen des ersten Landrats sowie des ersten Bürgermeisters der AfD in Thüringen und Sachsen-Anhalt erneut die Frage aufgeworfen, ob das Wahlverhalten durch die Erfahrungen, die mit einem Leben in der DDR einhergingen, zu erklären sei. Carsta Langner widmet sich in ihrem Vortrag der spezifischen Wahrnehmung von Rassismus und rechter Gewalt in Ostdeutschland der 1980er und 1990er Jahre in historischer Perspektive. Dazu wird die politische Zäsur 1989 historisch überschritten und der Blick auf verschiedene Akteursgruppen gerichtet. Damit leistet der Vortrag einen Beitrag zu einer integrierten Geschichte, die sowohl Täter:innen und Betroffene als auch die Gesamtgesellschaft umfasst. Ein solcher Zugriff ermöglicht zudem, die geschichtspolitischen Gründe in den Blick zu nehmen, die dem wiederkehrenden Diskurs über den (vermeintlichen) Zusammenhang von Staatssozialismus und rechter Gewalt zugrunde liegen.

Ausschließlich Präsenzveranstaltung, keine Online-Übertragung

Donnerstag, 11. Januar 2024, 18.30 Uhr

Barbara Manthe (Bielefeld): Vom Rechtsterrorismus zur rechtsradikalen Gewalt. Die Bundesrepublik in den 1980er Jahren

Moderation: Alyn Šišić (Hamburg)

In den 1980er Jahren wurden in der Bundesrepublik verstärkt rassistisch motivierte Gewalttaten registriert. Begleitet von einer aufgeladenen Asyl- und Migrationsdebatte hatte sich die rechtsradikale Szene inhaltlich umorientiert und agierte zunehmend mit einer rassistischen Agenda. Diese Entwicklung ging mit einer Veränderung militanter Szenestrukturen einher, die nun attraktiver für Skinheads, Fußballfans und ‚Rocker‘ geworden waren. In dem Vortrag geht es einerseits um diesen Wandel rechtsradikaler Gewalt in den 1980er Jahren. Andererseits soll nach gesellschaftlichen und staatlichen Reaktionen darauf gefragt werden. Barbara Manthe beleuchtet beispielhaft die Deutungskämpfe über eine schwere rassistische Gewalttat in Hamburg, die heftige Kontroversen auslöste. Am 21. Dezember 1985 griffen Skinheads in der Nähe des S-Bahnhofs Landwehr drei türkische Männer an; einer von ihnen, Ramazan Avcı, verstarb wenige Tage später. Die Tat erregte große mediale Aufmerksamkeit; an dem Fall lassen sich nicht nur lokale Spezifika der Hamburger Stadtgesellschaft, sondern auch übergeordnete Entwicklungen zeigen, die für die Entwicklung rechtsradikaler Gewalt in den 1980er und frühen 1990er Jahre bedeutsam waren.

Die Aufzeichnung (Audio) des Vortrags kann hier gehört werden.

Donnerstag, 1. Februar 2024, 18.30 Uhr

Janosch Steuwer (Köln): Zeit der Brandanschläge. Die rechte Gewalt der frühen 1990er Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik

Moderation: Knud Andresen (Hamburg)

Am 3. Oktober 1991 beging das frisch vereinte Deutschland in Hamburg seinen ersten Geburtstag. Mit einem Festakt und einem Bürgerfest wollte die Stadt auf Erfolge und Herausforderungen der „Wiedervereinigung“ blicken. Doch dann schob sich etwas anderes in den Vordergrund. Seit dem Pogrom von Hoyerswerda Mitte September rollte eine „Welle der Gewalt gegen Ausländer und Asylbewerber“ durch die Republik, die just am 2. Oktober 1991 auch Hamburg erfasste. Sie bildete den Beginn einer Zeit extensiver Gewalt, an deren Ende im Sommer 1993 offiziell mehr als 4.000 schwere „fremdenfeindliche Gewalttaten“ registriert worden waren, darunter über 1.200 Brandanschläge. Woher kam diese Gewalt? Und vor allem: Was machte sie mit dem neuen Land, das sich gerade auf die Suche begab, für was es zukünftig stehen wollte und wie seine Bürger:innen in ihm zusammenleben sollten? Janosch Steuwer zeigt die „Zeit der Brandanschläge“ als einen weitgehend übersehenen Schlüsselmoment unserer jüngeren Vergangenheit, an dem gesellschaftliche Debatten und politische Herausforderungen entstanden, die uns noch heute beschäftigen.

Die Aufzeichnung (Audio) des Vortrags kann hier  und in der Mediathek von Deutschlandfunk Nova gehört werden.

 

Den Flyer zur Vortragsreihe finden Sie hier.

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