Vortragsreihe

Let’s talk about sex! Zeitgeschichte und Sexualitäten

Vortragsreihe

Let’s talk about sex! Zeitgeschichte und Sexualitäten

FZH, Lesesaal

Sexualitäten sind eingebunden in die Geschlechter- und Gesellschaftsordnungen ihrer Zeit. In diesen wurden und werden sie verhandelt, gelebt und bewertet, aber auch verboten und verfolgt. Sechs Referent:innen gehen in der Veranstaltungsreihe den zeitgeschichtlichen Konstruktionen und Aushandlungen von Sexualitäten auf den Grund. Wie wurden Sexualitäten politisiert und in welche Machtbeziehungen waren sie eingebunden? Wer bestimmte, was als ‚gesund‘, was als ‚abnormal‘ galt, was gewollt und begehrt sein sollte? An welchen Orten wurden Sexualitäten angeeignet, ermöglicht oder verhindert? Und: Wie kann eigentlich eine Geschichte der Sexualitäten geschrieben werden? Die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg lädt Sie herzlich ein, diese und weitere Fragen mit den Vortragenden zu diskutieren.

Es handelt sich um Präsenzvorträge, bei einigen gibt es die Möglichkeit, über Zoom hybrid teilzunehmen:

https://uni-hamburg.zoom.us/j/68204134757?pwd=ankybktEVkdMNm0yRzV1YmRWK2poQT09

Kenncode: 14909175

Donnerstag, 20. April 2023, 18.30 Uhr

Prof. Dr. Benno Gammerl (Florenz): Geschichten von Sex, Sexualität und Sexualitäten. Wie lassen sie sich schreiben und inwiefern können emotionshistorische Ansätze dabei helfen?

Die queere Zeitgeschichte ist ein dynamisches Feld. Im Zentrum stehen nicht nur schwule und lesbische Vergangenheiten, sondern auch intersektionale Aspekte, also Überschneidungen von homo- und trans-feindlichen mit klassistischen, rassistischen und anderen Diskriminierungen. Die Emotionsgeschichte kann helfen, diese komplexen Lebenslagen zu begreifen, die oft ebenso vielschichtig und ambivalent sind wie die Gefühlswelten historischer Akteur*innen. Obwohl sich für gleichgeschlechtlich begehrende und gender-nonkonforme Menschen vieles zum Besseren gewendet hat, prägen Ängste nach wie vor große Teile des queeren Lebens. Solche zwiespältigen Wirklichkeiten kommen zur Geltung, wenn neben dem Begehren auch das Fühlen in den Blick gerät. Zugleich weitet sich die Perspektive vom Sexuellen aufs Intime, also auf verschiedene Formen zwischenmenschlicher Nähe, die sich nicht immer in ein klares Homo-Hetero-Schema zwängen lassen. Solche Weitungen und Uneindeutigkeiten können die queere Zeitgeschichte und die Zeitgeschichte generell enorm bereichern.

Präsenzveranstaltung, hybride Teilnahme möglich.

Donnerstag, 11. Mai 2023, 18.30 Uhr

Dr. Sebastian Bischoff (Bielefeld): Die Rechte und der Sex. Konservative und extrem rechte Perspektiven auf die "Sexuelle Revolution" in der Bundesrepublik nach 1960

1970 resümierte der Bundesgerichtshof, in der Bundesrepublik sei in nur einem Jahrzehnt „die bisherige Tabuisierung des Sexuallebens nahezu völlig abgebaut worden, so daß Fragen der Sexualität nunmehr in aller Offenheit erörtert werden“. Diese Vorstellung eines radikalen wie schnellen Wandels der Sexualmoral wurde in der Forschung längst durch die Untersuchung langer historischer Linien, gegenläufiger Bewegungen und Stabilitäten der Sexual- und Geschlechterordnung relativiert. Gleichwohl stellten sich die Entwicklungen zeitgenössisch durchaus als abrupter Prozess dar, wobei hier meist Entwicklungen der Medialisierung und Kommodifizierung des Sexuellen Erwähnung finden. Die gesellschaftlich breit getragene ideologische wie aktivistische Gegenwehr war bisher jedoch Randnotiz, dabei hatte der sexuelle Wandel in großen Teilen des deutschen Konservatismus und der völkisch-radikalnationalistischen Rechten einen vehementen Gegner. Der Vortrag fokussiert hierfür auf drei zeitgenössisch umkämpfte Themen: „Pornowelle“, schulische Sexualerziehung und homosexuelles Begehren. Es soll ein Ausblick gewagt werden auf die heutige Rechte und deren erfolgreiche Erzählungen vom „Gender-Wahn“ und „Großen Austausch“, die immer auch ein Bild von der den‘68ern überantworteten „sexuellen Revolution“ enthalten.

Ausschließlich Präsenzveranstaltung.

Donnerstag, 1. Juni 2023, 18.30 Uhr

Prof. Dr. Anna Hájková (Warwick): Warum wir eine Geschichte der Sexualität des Holocaust brauchen. Eine Einführung

Kooperationsveranstaltung mit der Forschungsgruppe Gewalt-Zeiten der Universität Hamburg und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden

Die Aufzeichnung des Vortrags können Sie hier nachschauen.

In den letzten zwanzig Jahren wandte sich die Holocaust-Forschung der Sexualität zu, insbesondere der der Verfolgten. Zuerst war es die sexuelle und sexualisierte Gewalt, die langsam in den Fokus des wissenschaftlichen und populären Interesses rückte. Der beträchtliche Widerstand, mit dem die Forscher*innen zu diesem Thema anfänglich kämpfen mussten, hat mittlerweile nachgelassen, und das Thema hat sich in der Forschung etabliert. Dennoch bleibt es ein Minenfeld. Gebiete wie queeres Verlangen, sexueller Tauschhandel, trans* Geschichte oder sexuelle Gewalt unter Männern werden schnell als unpassend oder gar „woke” abgetan und kritisiert. In diesem Vortrag geht Anna Hájková der Frage nach, welche neuen Perspektiven die Geschichte der stigmatisierten Sexualität während der Shoah eröffnet – und welche Rolle dabei der Historikerin zukommt.

Präsenzveranstaltung, hybride Teilnahme möglich.

Donnerstag, 15. Juni 2023, 18.30 Uhr

Dr. Alina Potempa (Berlin): Der Papst, die Moral und die „Stimme der Natur“. Reden über Sex(ualität) im Kontext des „katholischen '68“

Über Sex sprach man im Katholizismus im Spätsommer 1968 allerorten. Nachdem Papst Paul VI. Ende Juli mit der Enzyklika Humanae vitae Katholik:innen den Gebrauch künstlicher Empfängnisverhütungsmittel verboten hatte, brach bei den Gläubigen ein Sturm der Entrüstung los, der seinesgleichen suchte. Die Frage, wie Sexualität in einer katholischen Ehe zu leben sei, wurde dabei nicht nur abstrakt und in theologischen Kategorien, sondern häufig mittels sehr konkreter Berichte über die eigenen sexuellen Erfahrungen verhandelt. Apologetische Stimmen glaubten, in der hitzig geführten Debatte insbesondere über die „Natur“ der weiblichen Lust gar eine „hysteriforme Massenpsychose“ zu erkennen.
Nicht zuletzt mit ihren verschiedenartigen Bestrebungen zur diskursiven Normierung einer „natürlichen“ Sexualität, an die spezifische Geschlechtermodelle gekoppelt waren, stand die katholische Diskussion um Humanae vitae in deutlicher Beziehung zur sogenannten „sexuellen Revolution“ um 1968 mit ihren Körperdiskursen, ihren Wissenskulturen und ihren Politisierungsdimensionen. All dies gilt es im Vortrag in den Blick zu nehmen, liefert doch das „katholische ‘68“, so soll gezeigt werden, hinreichend Ebenen, Dynamiken und Implikationen, um in einer „Zeitgeschichte der Sexualitäten“ unter keinen Umständen fehlen zu dürfen.

Präsenzveranstaltung, hybride Teilnahme möglich.

Donnerstag, 22. Juni 2023, 18.30 Uhr

Prof. Dr. Ulrike Schaper (Berlin): „Ist ja keine Schande mehr, heutzutage, wo es sogar einen Kolle gibt“. Sextourismus, Sexotisierung und sexuelle Befreiung seit 1968

Der Sextourismus in Ländern des Globalen Südens entwickelte sich etwa zeitgleich mit einer politisch aufgeladenen Diskussion zur sexuellen Befreiung. Während der Ausbau eines Massenferntourismus in der Bundesrepublik ab Mitte der 1960er Jahre einsetzte, beförderten sexualpolitische Diskussionen im Umfeld der Studierendenbewegung und der Neuen Linken seit Ende der 1960er Jahre die Aufladung sexueller Befreiung als zentralen Weg gesellschaftlicher Transformation. Sie verstärkten längerfristige Entwicklungen einer Auflösung restriktiver sozialer und rechtlicher Normen und einer Pluralisierung von Moralvorstellungen, sexuellen Einstellungen und Praktiken.
Der Vortrag lotet die Berührungspunkte zwischen diesen beiden Entwicklungen aus. Er zeigt, dass sie nicht nur parallel auftraten, sondern sich immer wieder überschnitten und aufeinander bezogen wurden. Dabei geht es nicht nur um teils überraschende Bezugnahmen sextouristischer Rechtfertigungen zu sexualpolitischen Bewegungen. Vor allem wird illustriert, wie stark sich Verheißungen von sexueller Befreiung mit rassifizierenden und sexotisierenden Imaginationen der Reiseziele verbanden, wie sich antibürgerliche Kritik an christlich-westlicher Sexualmoral mit Zivilisationskritik vermischte und welche Begrenzungen und blinde Flecken die Diskussionen um die sexuelle Befreiung kennzeichnete.

Präsenzveranstaltung, hybride Teilnahme möglich.

Donnerstag, 13. Juli 2023, 18.30 Uhr

Dr. Andrea Rottmann (Berlin): Stadtgeschichte queeren. Urbane Räume zwischen privat und öffentlich

Am Beispiel von Berlin zwischen 1945 und 1970 geht der Vortrag der Frage nach, was es bedeutet, queere Zeitgeschichte zu schreiben, und warum ein raumhistorischer Zugang dafür vielleicht besonders geeignet ist. Stadtbezogene Studien sind ein klassisches Genre in der Geschichte der Homosexualität – man denke an Eldorado (1984), Gay New York (Chauncey 1994), Queer London (Houlbrook 2005) oder Gay Berlin (Beachy 2014). Viele dieser wichtigen Studien waren aber nicht queer konzipiert – weder stand im Fokus, wie geschlechtliche und sexuelle Normen auch durch räumliche Praktiken konstruiert wurden, noch waren sie an Subjektivitäten jenseits männlicher Homosexueller interessiert (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wie es anders gehen könnte, dazu sollen im Vortrag einige Vorschläge gemacht werden.

Präsenzveranstaltung, hybride Teilnahme möglich.

Den Informationsflyer zur Vortragsreihe finden Sie hier.

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