Vortragsreihe

Erfahren, Erkunden, Erkennen. Wissensgeschichtliche Perspektiven auf den Nationalsozialismus

Vortragsreihe

Erfahren, Erkunden, Erkennen.
Wissensgeschichtliche Perspektiven auf den Nationalsozialismus

Lesesaal der FZH

Die Beobachtung und Interpretation des Nationalsozialismus ist so alt wie dieser selbst. Die Geschichte des NS ist daher immer auch eine Geschichte des Wissens über den NS – eine Geschichte, die nicht erst 1933 beginnt und die bis in die Gegenwart anhält. Diese Wissensgeschichte hat viele Akteur:innen und ist nicht auf die akademische Forschung begrenzt. Schon früh begannen aufmerksame Beobachter:innen im In- und Ausland die Hitler-Bewegung unter die Lupe zu nehmen, Übergriffe und Gewalttaten zu dokumentieren und die historische Situation, in der dies geschehen konnte, zu analysieren. Viele dieser Ansätze setzte die spätere NS-Forschung fort, die zudem immer wieder auf das Erfahrungswissen der Zeitzeug:innen zurückgriff. Die Stimmen der Überlebenden der NS-Verbrechen fanden hingegen erst spät Gehör. Historiker:innen der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg untersuchen Aspekte einer entsprechend weit gefassten Wissensgeschichte des NS und laden zur Diskussion ihrer Ergebnisse ein.

Die Vorträge werden online via Zoom übertragen: https://zoom.us/j/95416299847?pwd=aG1ES1RTUmNRZzc3M3FJbkRyYW1oUT09

Die Reihe ist Teil des Allgemeinen Vorlesungswesen der Universität Hamburg. Der Flyer mit dem Programm ist hier verfügbar.

Donnerstag, 18. April 2024, 18.30 Uhr

Kirsten Heinsohn (FZH): Akteure des Wissens und diskursive Macht. Die Antisemitismusforscherin Eva Gabriele Reichmann

Moderation: Klaus Große Kracht (FZH)

Eva Gabriele Reichmann (1897-1998) gehörte in der Nachkriegszeit zu den ersten Wissenschaftler:innen, die Wissen über die jüdische Gemeinschaft vor 1933 vermittelten und Ursachen für den deutschen Antisemitismus untersuchten. Ihr Hauptwerk „Flucht in den Hass“ erschien 1956; es galt lange Zeit als Klassiker, war aber auch umstritten. Als Soziologin und führende Mitarbeiterin im Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, als Beteiligte am intellektuellen Widerstand gegen den Nationalsozialismus und als Betroffene der Verfolgung sowie schließlich als Wissenschaftlerin und Jüdin im Exil näherte sich Reichmann ihren Themen. Sie verdichtete ihre Erfahrungen zu wissenschaftlichen Analysen, deren Ergebnisse auch der deutschen, nicht-jüdischen Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Der Vortrag stellt Eva Reichmann als Akteurin einer Wissensgeschichte des Antisemitismus und der deutsch-jüdischen Geschichte vor. Worin die Chancen und Grenzen ihrer diskursiven Macht lagen, wird eine der Leitfragen sein.

Donnerstag, 16. Mai 2024, 18.30 Uhr

Christoph Strupp (FZH): „Ein riesiges Paradoxon“? Zeitgenössische Auseinandersetzungen amerikanischer Diplomaten mit dem Nationalsozialismus

Moderation: Marcel Bois (FZH)

In der NS-Diktatur gewann die politische Berichterstattung ausländischer Botschaften und Konsulate für ihre Außenministerien an Bedeutung. Räumlich unmittelbar vor Ort in Berlin, Leipzig, München und anderen deutschen Städten, aber durch ihren Status gegen Repressionen geschützt, verfassten die Diplomaten ab 1933 zehntausende Berichte über das Innenleben des „Dritten Reichs“. Viele dieser Berichte umfassten nur wenige Seiten und schilderten einzelne Ereignisse, informierten über Gesetze oder gaben Pressemeldungen wieder. Andere waren ausführlicher und boten schon in den 1930er Jahren grundlegende Analysen des politischen Systems und der deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus.

Seinen Reiz gewinnt das in diesen Berichten gesammelte Wissen durch den Erfahrungshintergrund der Autoren und die zeitgebundene Perspektive - schließlich wurden sie ohne Kenntnis des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts verfasst. Der Vortrag führt in die Quellengattung ein und stellt dann aus wissensgeschichtlicher Perspektive einzelne Texte aus der US-amerikanischen Berichterstattung ausführlicher vor. Was wurde in den Berichten explizit und implizit vermittelt, welche inhaltlichen Schwerpunkte wurden gesetzt und welche Leerstellen finden sich?

Donnerstag, 6. Juni 2024, 18.30 Uhr

Yvonne Robel (FZH): Der NS-Genozid an Sinti* und Roma*. Zum Wandel von Deutungshoheiten in der Bundesrepublik

Moderation: Linde Apel (FZH)

Die wissenschaftliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Massenverbrechen an Sinti* und Roma* war bis in die 1980er Jahre vor allem eines: dürftig. Vermeintliches Wissen über die Minderheit wurde dennoch produziert – von sogenannten „Zigeunerexperten", von Polizist:innen diverser Sonderabteilungen, von Mitarbeiter:innen verschiedener Behörden, aber auch medial. Dieses erzeugte Wissen verhinderte und verstellte einen kritischen Umgang mit dem Genozid an Sinti* und Roma*. Damit zu brechen, war Anspruch der Roma*-Bürgerrechtsbewegung seit Ende der 1970er Jahre, für die das Hinterfragen des bisherigen ‚Expertentums‘ einen wesentlichen Aspekt der Selbstermächtigung darstellte.

In dem Vortrag soll diesem umkämpften Wandel – sowohl für die Bundesrepublik als auch am Beispiel Hamburgs – nachgegangen werden. Wer wurde wann warum zum Thema gehört? Was war nötig, um den nationalsozialistischen Genozid als solchen zu benennen und zu problematisieren? Und was beinhaltete es, mit bestehenden Wissensregimen und Deutungshoheiten zu brechen?

Donnerstag, 20. Juni 2024, 18.30 Uhr

Klaus Große Kracht (FZH): "Bezeichnende Befangenheit". Zeitzeugenbefragungen am Institut für Zeitgeschichte (München) während der 1950er Jahre

Moderation: Andrea Althaus (FZH)

Das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München hat sich im Verlauf seines inzwischen über 70-jährigen Bestehens zur größten zeithistorischen Forschungseinrichtung in der Bundesrepublik entwickelt. Es hat der fachwissenschaftlichen Erforschung des Nationalsozialismus zentrale Impulse gegeben und über seine Veröffentlichungen nachhaltig auf die wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Deutschland sowie in internationaler Perspektive gewirkt.

In den ersten Jahren seines Bestehens waren viele Akten aus der NS-Zeit für die Forschung allerdings noch unzugänglich. Die Forscher:innen am IfZ versuchten daher, gezielt das Wissen von Zeitzeug:innen zu dokumentieren und in ihre Arbeiten einzubeziehen. Dabei richteten sie ihren Blick vor allem auf ehemalige Entscheidungsträger in Militär und Bürokratie des NS-Staates, die Opfer kamen kaum in den Blick. Welche Rolle dieses Wissen für die frühen Forschungsarbeiten am IfZ spielte und inwiefern dadurch das Bild vom ‚Dritten Reich‘ in der frühen Bundesrepublik geprägt wurde, soll in dem Vortrag geklärt werden.

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