Vortragsreihe

Moderne Stadtgeschichte(n) schreiben

Vortragsreihe

Moderne Stadtgeschichte(n) schreiben

Lesesaal der FZH

Das 20. und 21. Jahrhundert sind Jahrhunderte der Städte - in Deutschland leben heute mehr als drei Viertel der Menschen in Städten, weltweit sind es mehr als die Hälfte. So lassen sich viele geschichtswissenschaftliche Fragen besonders gut am Beispiel von Städten erforschen und zugleich können durch den Blick auf die städtische Ebene umfassendere gesellschaftliche Phänomene veranschaulicht werden. In Städten konkretisiert sich staatliches Handeln, hier werden soziale Konflikte besonders sichtbar und neue gesellschaftliche und kulturelle Trends haben vielfach hier ihren Ausgangspunkt.

Die Anforderungen an moderne Stadtgeschichten sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Komplexität heutigen politischen, sozialen und kulturellen Lebens mit einer Vielzahl städtischer Akteurinnen und Akteure soll sich in der geschichtswissenschaftlichen Forschung widerspiegeln. Damit geraten unterschiedlichste Themen und Quellen neu in den Blick. Hinzu kommen neue Formen der Forschungsorganisation - Stichwort „Citizen Science“ - und Publikationsformen jenseits des klassischen Buchformats, zum Beispiel Ausstellungen, Webseiten oder Apps.

Die Vorträge der Reihe werden diese Fragen und Herausforderungen anhand konkreter Beispiele aus aktuellen Projekten und neuester Veröffentlichungen zur Geschichte einzelner Städte vertiefen.

Donnerstag, 24. Oktober 2024, 18.30 Uhr

Prof. Dr. Christoph Cornelißen (Goethe-Universität, Frankfurt am Main) und Dr. Bettina Tüffers (Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e.V., Berlin): Frankfurt am Main und der Nationalsozialismus. Herrschaft und Repression – Wirtschaft und Gesellschaft – Kultur und Gedächtnis

Die Veranstaltung dient der Präsentation und Diskussion des im Juni 2024 erschienenen Sammelbandes „Frankfurt am Main und der Nationalsozialismus“. Das Buch füllt eine eklatante Lücke in der Frankfurter Stadtgeschichtsforschung, die zwar seit Jahrzehnten beklagt, aber aus verschiedenen Gründen nicht behoben worden ist. In der Präsentation werden die Umstände der späten Publikation, die Konzeption des Bandes sowie ausgewählte Forschungserträge skizziert. Besonders bemerkenswert erscheint, dass Frankfurt in der Weimarer Republik als Musterbeispiel einer demokratischen und modernen wohlfahrtsstaatlichen Kommunalpolitik galt, dann aber seit 1933 einen radikalen Kurs gegenüber all denjenigen Gruppen einschlug, die als „Gemeinschaftsfremde“ unterdrückt wurden. Die große jüdische Gemeinde, deren Angehörige die Mainmetropole wesentlich geprägt hatten, wurde fast vollständig ausgelöscht. In der Diskussion soll es darum gehen, die Möglichkeiten der zukünftigen NS-Stadtgeschichtsforschung weiter auszuloten.

Donnerstag, 28. November 2024, 18.30 Uhr

Dr. Alina Just (FZH): Stadtgeschichte als Geschichte des Vergnügens. Eine Neukartierung Hamburgs im 20. Jahrhundert

Das Hamburger Vergnügungsquartier St. Pauli ist weltberühmt. Gezielt wurde das Ausgehviertel im Verlauf des 20. Jahrhunderts beworben und unterstützte dabei das vom Stadtmarketing kreierte Selbstbild Hamburgs als einem „Tor zur Welt“. Dabei existierten bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts viele weitere wichtige Quartiere des Vergnügens in Hamburg, etwa in der Neustadt und in den östlichen Hafenvierteln. Teils haben bestimmte Stadtentwicklungsprozesse nach 1945 sie verdrängt oder vernichtet, teils hat sie der wirkmächtige St. Pauli-Mythos in der öffentlichen Wahrnehmung überschrieben. Der Vortrag identifiziert diese vergessen Orte des Vergnügens und erläutert ihre Bedeutung für die Hamburger Stadtgeschichte. Damit zeigt der Vortrag zum einen, wie eine empirisch begründete Neuperspektivierung helfen kann, Distanz zu medial vermittelten Selbstbildern einer Stadt aufzubauen. Zum anderen wird klar, dass die Frage, wo und wie sich Menschen vergnügten, eine Schlüsselfrage der Stadtgeschichte ist.

Donnerstag, 5. Dezember 2024, 18.30 Uhr

Dr. Kim Todzi (Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, Universität Hamburg): „Die Wissmänner sind noch immer unter uns“. Koloniale Kontinuitäten und postkoloniale Stadtgeschichte in Hamburg seit 1945

Trotz des formal längst vollzogenen Endes des deutschen Kolonialreiches (1884-1919) wirkte das koloniale Erbe in Hamburg auch nach 1945 fort. Der Vortrag analysiert, wie koloniale Denkweisen und Strukturen die städtische Entwicklung, das kulturelle Gedächtnis und die sozialen Dynamiken Hamburgs prägten. Im Mittelpunkt stehen die Auseinandersetzungen mit der Erinnerungskultur, koloniale und rassistischen Kontinuitäten in Institutionen wie dem Völkerkundemuseum und an der Universität Hamburg, sowie wirtschaftliche Beziehungen zu ehemaligen Kolonien. Der Vortrag beleuchtet, wie postkoloniale Perspektiven helfen, Einflüsse kolonialer Machtstrukturen zu verstehen und urbane Geschichte neu zu interpretieren. Welche Kontinuitäten sind sichtbar und welche neuen Deutungen eröffnen sich durch diesen Ansatz?

Donnerstag, 9. Januar 2025, 18.30 Uhr

Prof. Dr. Dorothee Brantz (Center for Metropolitan Studies, TU Berlin): Metropolitane Jahreszeiten: Eine Kultur- und Umweltgeschichte um 1900 und 2000

Weitere Infos folgen

Donnerstag, 16. Januar 2025, 18.30 Uhr

Dr. Alexander Kraus (Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation, Wolfsburg): Wolfsburg. Stadtgeschichte schreiben in der „Stadt ohne Geschichte“

Begaben sich Journalistinnen und Journalisten in der ‚Wirtschaftswunderzeit‘ nach Wolfsburg, um über die sich in bis dato ungekanntem Tempo entwickelnden Stadt am Mittellandkanal zu berichten, so war in ihren Beiträgen zumeist von der „Stadt ohne Geschichte“ die Rede. Ganz gleich ob in Stadt-, Radio- oder Fernsehreportagen – der Tenor war stets derselbe und wurde durch die Kommunalpolitiker in Reden, Interviews oder Festschriften auch gerne selbst aufgegriffen. Wer fortwährend auf die scheinbare Geschichts- und Traditionslosigkeit der eigenen Stadt rekurriert, kann die unrühmlichen Ursprünge als nationalsozialistische Mustersiedlung aussparen, die Kommune als ein Gemeinwesen inszenieren, das ganz der Zukunft zugewandt ist. Doch braucht die Demokratie die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Daher ist zu fragen, wie Demokratisierungsprozesse, das Ringen um Partizipations- und Mitbestimmungsrechte, die nur schwer greifbare demokratische Praxis jenseits von Wahlen und politischen Institutionen erforscht, beschrieben und vermittelt werden können.

Donnerstag, 23. Januar 2025, 18.30 Uhr

PD Dr. Christoph Lorke (LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster), Joana Gelhart, M. Ed. (FZH) und Tim Zumloh, M. A. (LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster): „Bitte eine schöne Geschichte schreiben“. Perspektiven einer Gütersloher Stadtgeschichte der Gegenwart

Eine Stadtgeschichte der Gegenwart birgt vielfältige Potenziale: Die Stadt als Nahraum und die jüngste Zeitgeschichte als miterlebte und gegenwärtige Vergangenheit bieten unmittelbare Lebensweltbezüge für die Bürger*innen. Interessierte können nicht nur als Zeitzeug*innen, sondern als Diskutierende mitwirken. Gleichzeitig ergeben sich spezifische Herausforderungen: Wie lässt sich eine Stadtgeschichte schreiben, wenn die Vergangenheit nicht abgeschlossen ist, maßgebliche Debatten noch geführt werden? Wie lassen sich bis heute in der Stadt einflussreiche Personen historisieren? Vom Spannungsverhältnis zwischen akademischer Forschung und städtischen Geschichtsbildern, Auftragsarbeit und wissenschaftlicher Unabhängigkeit, Erwartungshaltungen und Deutungskonkurrenzen berichten die Referent*innen am Beispiel Güterslohs. Dass Stadtgeschichtsschreibung immer auch städtische Machtstrukturen offenlegt, zeigt sich in der Mittelstadt als Ort räumlicher und sozialer Nähe deutlich.

Koordination:

Prof. Dr. Thomas Großbölting (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg / Universität Hamburg) / Dr. Christoph Strupp (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg)

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