Gesprächsreihe

Wer, wie, was? Diversität als zeithistorische Perspektive

Gesprächsreihe

Wer, wie, was? Diversität als zeithistorische Perspektive

28. Oktober 2021 bis 20. Januar 2022

„Diversität“ ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem zentralen Begriff gesellschaftlicher Beschreibung, politischer Forderungen nach Teilhabe und institutioneller Öffnungsbemühungen avanciert. Inwiefern jedoch lässt sich der politisch aufgeladene Begriff der Diversität in eine Perspektive zeitgeschichtlicher Forschung übersetzen?

Geschichtsschreibung, die diversitätssensibel sein will, muss danach fragen, wer von welcher Position aus sprechen kann, welche Perspektiven im Zentrum historischer Erzählungen stehen und welche daher marginalisiert werden. Sie ist gefordert, heterogene Perspektiven einzunehmen sowie Hierarchisierungen und Ausschlüsse zu problematisieren, ohne ‚andere Geschichten‘ lediglich ergänzend zum ‚Normalfall‘ zu erzählen. Vorstellungen von Identität und Differenz gilt es dabei kritisch zu hinterfragen.

Die Veranstaltungsreihe widmet sich anhand ausgewählter Felder der Frage, was es konkret bedeutet, Diversität als eine spezifische Perspektive zeitgeschichtlicher Forschungen und Vermittlungsformen zu verstehen. Welche Erkenntnismöglichkeiten birgt es, Diversität als konzeptuelle Brille zu nutzen, mittels derer auf die Zeitgeschichte allgemein und Themen wie Erinnerungspolitik, Arbeit oder Gesundheit geblickt werden soll? Welche Herausforderungen für die Zeitgeschichte bringt die hoch normative Debatte um Diversität mit sich? Wie können Unterschiedlichkeiten historisch in den Blick genommen und die damit verbundenen Zuschreibungen zugleich überwunden werden?

 

Programm (online)

Donnerstag, 28. Oktober 2021

18.30 Uhr

  • Fatima El-Tayeb (New Haven) / Katharina Oguntoye (Berlin): Leerstellen und fragmentierte Erzählungen. Schwarze Deutsche und die deutsche Zeitgeschichte
    Moderation: Kirsten Heinsohn (FZH)

Als sich „Afro-Deutsche“ oder „Schwarze Deutsche“ zusammenschlossen, um unter diesen neuen Selbstbezeichnungen eine politische Stimme zu finden, stand die kritische Beschäftigung mit der deutschen Geschichte mit auf der Agenda. Davon angestoßene Forschungen lieferten wichtige historiografische Impulse. Gleichwohl ist immer noch die Frage aktuell, was es bedeutet, die Perspektiven und die Geschichte Schwarzer Menschen in die deutsche Zeitgeschichtsschreibung zu integrieren. Wie sieht die deutsche Zeitgeschichte aus der Perspektive Schwarzer Deutscher aus? Welche Leerstellen sind zu füllen, welche Grenzziehungen zu hinterfragen? Geht es um ein Hinzufügen von Erfahrungen und Geschichte(n) oder um ein Neuerzählen? Was beinhaltet eine solche Neuerzählung? Was leisten hierbei rassismuskritische und intersektionale Ansätze? Ist eine grundsätzlich andere Großerzählung überhaupt denkbar?

 

Donnerstag, 11. November 2021

18.30 Uhr

  • Joachim Baur (Berlin) / Sandra Vacca (Köln): Repräsentation als Selbstverständigung. Die Geschichte der Einwanderungsgesellschaft im Museum
    Moderation: Stefan Mörchen (FZH)

Die Aufzeichnung der Veranstaltung steht auf unserem Vimeo-Kanal zur Verfügung.

Anders als in klassischen Einwanderungsländern gibt es in der Bundesrepublik, lange Zeit „Einwanderungsland wider Willen“, bislang kein Einwanderungsmuseum. Doch ist die Migrationsgeschichte auch hierzulande längst museumsreif, wie zahlreiche Ausstellungen und Museumsprojekte belegen, die oft von migrantisch geprägten Initiativen angestoßen wurden. Mit diesem Prozess der Musealisierung verbinden sich eine Reihe von Fragen, die wir diskutieren wollen: Wie können Ausstellungen und Museen zu einer partizipativen Selbstverständigung der Einwanderungsgesellschaft beitragen, die deren Diversität gerecht wird und höchst unterschiedliche Perspektiven aufnimmt? Vor welche Herausforderungen sehen sich etablierte historische Museen gestellt, die ihre Sammlungen und kuratorischen Konzepte entsprechend erweitern wollen? Werden (post-)migrantische Perspektiven und Erfahrungen Eingang in nationalhistorische Narrative finden oder stehen diese einer Erweiterung gesellschaftlicher Selbstbilder eher im Wege?

 

Donnerstag, 25. November 2021

18.30 Uhr

  • Gabriele Lingelbach (Kiel) / Dietmar Süß (Augsburg): „Behinderung“ und Arbeit - eine Antifortschrittsgeschichte?
    Moderation: Yvonne Robel (FZH)

Zeitgeschichtliche Forschungen zum Thema „Arbeit“ florieren. Diskutiert werden unter anderem der gesellschaftliche Stellenwert von Arbeit und Arbeitslosigkeit, die Bedeutung von Haus- sowie Care-Arbeit oder die Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Welche Rolle aber spielt in diesem Kontext der Blick auf „Behinderung“ als zentrale Kategorie sozialer Ungleichheit? Im Gespräch soll erörtert werden, inwiefern eine kritische disability history zu einer „anderen“ Geschichte der Arbeit beitragen kann. Lassen sich damit gängige Erzählungen – etwa über Fortschritt, Liberalisierung oder Individualisierung – infrage stellen? Verändert sie unseren Blick auf den Wandel der deutschen Arbeits- und Leistungsgesellschaft? Und wie ließe sich die Forderung, betroffene Personen nicht zu Objekten, sondern Subjekten der eigenen Geschichte zu machen, letztlich für eine disability-sensible Zeitgeschichte der Arbeit umsetzen?

 

Donnerstag, 20. Januar 2022

18.30 Uhr

  • Felix Römer (Berlin) / Martina Steer (Wien): Corona spaltet. Über Erfahrungen in und mit der Pandemie
    Moderation: Thomas Großbölting (FZH)

Die Aufzeichnung der Veranstaltung steht auf unserem Vimeo-Kanal zur Verfügung.

Im zweiten Jahr mit Corona ist offensichtlich, dass sich im Zuge der Pandemie und ihrer Bekämpfung zahlreiche gesellschaftliche Spaltungen und Verwerfungen vertieft haben oder auch neu auftun. Menschen mit geringem Einkommen sind häufiger und oft härter von einer Erkrankung betroffen. Lockdown oder social distancing verstärken soziale oder geschlechterbezogene Ungleichheiten. Inwiefern die Zeitgeschichte dazu beitragen kann, die gesellschaftlichen Effekte der aktuellen Pandemie zu verstehen und zu kontextualisieren, soll gemeinsam diskutiert werden. Wie kann die Geschichte der Pandemie und ihrer Bekämpfung diversitätssensibel erforscht und erzählt werden? Wie lassen sich die sehr verschiedenen Erfahrungen etwa von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gleichermaßen berücksichtigen? Wie wirken sich Wohnverhältnisse oder das Geschlecht auf das Erleben der Pandemie aus? Hat sich die soziale Spaltung der Gesellschaft in dieser Zeit vertieft und mit welchem Narrativ erzählen wir diese Geschichte?

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