Politische und andere soziale Bewegungen weisen mit unübersehbarer Regelmäßigkeit eine enge Beziehung zur Sexualität bzw. zum Sexuellen auf. Dies mag bei den jüngeren, (selbst)erklärtermaßen „sexuellen Revolutionen“ unmittelbar einleuchten – etwa um und nach 1968, in den bürgerlichen Reformbewegungen um 1900 und bis heute in Bewegungen zur „Befreiung“, Anerkennung oder Normalisierung sexueller und geschlechtlicher Minoritäten. Der Rekurs auf das Sexuelle fällt aber auch in konservativen oder faschistischen und schlicht antiliberalen Bewegungen unmittelbar ins Auge (vgl. z.B. die Arbeiten von Dagmar Herzog, Klaus Theweleit, Sebastian Winter). So sind sexuelle Motive etwa sowohl virulent in der Konstruktion des jeweiligen Feindbildes – häufig mit antisemitischer und rassistischer Konnotation als vermeintlich sexuell ausschweifend, übergriffig, degeneriert, tierisch und in jedem Falle gefährlich. Sexualität wird aber auch in Dienst genommen in der Illustration eigener (auch: sexueller) Potenz – in Verknüpfung mit der Entwürdigung anderer, bis hin zum systematischen Einsatz sexualisierter Gewalt in Terror- und Kriegshandlungen. Die Modi der Bezugnahme auf Sexualität variieren zwischen unterschiedlichen Bewegungen sehr stark – von intendierten und strategischen Einsätzen bis hin zu eher unbewussten Mobilisierungen sexueller Phantasien und Ressentiments.
Auf der 6. Jahrestagung des Arbeitskreises Sexualitäten in der Geschichte in Kooperation mit der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg und dem Institut für Sexualforschung, Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie am UKE Hamburg-Eppendorf interessieren wir uns generell für politisierte Sexualitäten insbesondere im Kontext von politischen und anderen sozialen Bewegungen sowohl im progressiven, subversiven oder liberalen Spektrum wie auch im Zuge konservativer oder faschistischer und antiliberaler Strömungen. Inwiefern wird Sexualität bzw. Sexuelles hierbei immer wieder zum Kampffeld gemacht, auf dem (stellvertretend oder als inhaltliches Kernanliegen) sexuelle Motive, Phantasien, Praktiken, Hierarchien und Normen verhandelt, produziert und transformiert werden? Was zeichnet offensichtlich oder stark politisierte Sexualitäten dabei gegenüber sehr viel weniger oder gar nicht politisierten Sexualitäten aus? Wie gestaltet und verändert sich in diesem Rahmen möglicherweise sowohl das Sexuelle als auch das Politische? Für wen und mit welchen Folgen?
Die Tagung wird in Präsenz stattfinden. Erwünscht sind Beiträge aus unterschiedlichen soziohistorischen Kontexten, wobei sowohl vergleichende, epochenübergreifende wie auch konkrete Fallstudien denkbar sind. Explizit erwünscht sind auch Beiträge, die über den deutschsprachigen, den westeuropäischen und nordamerikanischen Raum hinausgehen und transregionale und globalgeschichtliche Perspektiven einnehmen. Und wie immer können auch paper proposals zu anderen sexualitätsgeschichtlichen Themen eingereicht werden.
Die Tagungssprache ist Deutsch, wobei auch in englischer Sprache vorgetragen werden kann. Wir laden ein, Abstracts (2.500 Zeichen) mit einer kurzen Autor*innenangabe bis zum 30.9.2024 an Sebastian Bischoff zu senden (E-Mail: sebastian.bischoff@uni-bielefeld.de).
Nach guter Erfahrung mit dem Format möchten wir auf der Tagung wieder die gemeinsame Diskussionszeit priorisieren. Daher möchten wir auf das bewährte Format zurückgreifen, nach welchem die Vorträge in Form eines Papers (20-25.000 Zeichen inkl. Leerzeichen) 14 Tage vor der Tagung gesammelt und den Tagungsteilnehmenden zugänglich gemacht werden, sodass auf der Tagung selbst von den Referierenden nur noch ein kurzer Impuls gegeben werden muss und viel Platz für intensive Diskussionszeit bleibt.
Für die Referent*innen werden die Reise- und Übernachtungskosten vorbehaltlich der Bewilligung übernommen.
Organisation: Knud Andresen (FZH), Pascal Eitler (FZH), Daniel Gerster (FZH) und Peer Briken (Institut für Sexualforschung am UKE Hamburg-Eppendorf)
Für den AKSG: Sebastian Bischoff (Universität Bielefeld), Julia König (Universität Wuppertal) und Dagmar Lieske (Gedenkstätte Deutscher Widerstand)
Call for Paper als PDF hier.