Teilprojekt 1: Zeithistorische Wissensproduktion in der Bundesrepublik. Das Institut für Zeitgeschichte in München 1949–1972

Bearbeitung:
Dr. Niklas Lenhard-Schramm
Lenhard-Schramm@zeitgeschichte-hamburg.de

Forschungslinie: Der Nationalsozialismus und seine „zweite Geschichte“

Das Arbeitsvorhaben ist Teil des Projektes „NS-Aufarbeitung im Zeichen ‚nüchterner‘ Sachlichkeit? Wissenschaftliche Praxis und Wissensproduktion am Institut für Zeitgeschichte (1949–1989)". In enger Kooperation mit dem Teilprojekt 2 „Die Produktion Historischen ‚Wissens‘ am Institut für Zeitgeschichte in München (1972–1989)“ soll die Erarbeitung und Zirkulation historischen Wissens am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München während der Gründungs- und Aufbauphase (1949-1972) untersucht werden – jener Phase, in der das Institut zur größten und bedeutendsten zeithistorischen Forschungseinrichtung der Bundesrepublik avancierte. Das Projekt wird seit November 2024 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit einer Projektlaufzeit von drei Jahren gefördert.

Als das Institut im Mai 1949 auf unsicherem finanziellen Fundament seine Arbeit aufnahm, stand seine wissenschaftliche Ausrichtung noch keineswegs fest. Die Vorstellungen changierten hier zwischen einer bloßen Dokumentensammelstelle, einer volkspädagogischen Aufklärungsanstalt und einer zeithistorischen Forschungseinrichtung. Da die Anfänge des Instituts unter dem CSU-Politiker Gerhard Kroll (1949–1951) bereits recht gut erforscht sind, konzentriert sich das Teilprojekt auf die Zeit unter den Institutsleitern Hermann Mau (1951–1952), Paul Kluke (1953–1959) und Helmut Krausnick (1959–1972). In dieser Phase konsolidierte sich das Institut als wissenschaftliche Einrichtung, erhielt 1952 den offiziellen Namen „Institut für Zeitgeschichte“ und fand 1961 schließlich seine dauerhafte Rechtsform als öffentliche Stiftung des bürgerlichen Rechts. Trotz allem blieb das IfZ zunächst auf staatliche und nationale Interessen ausgerichtet. Wie dies die konkrete Forschungspraxis am Institut prägte und wie das IfZ die verschiedenen geschichtspolitischen und -wissenschaftlichen Erwartungen der 1950er und 1960er Jahre handhabte, ist eine der Kernfragen des Teilprojekts.

Das Teilprojekt untersucht, wie sich das IfZ nach den wechselvollen Anfängen zu einer führenden Forschungseinrichtung entwickelte, insbesondere bei der Produktion und Verbreitung von Wissen über den Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt stehen dabei die verschiedenen, oft improvisierten Ansätze und Wege der Informationsgewinnung – etwa durch Zeugenbefragungen oder Dokumentenankäufe –, aber auch die Verarbeitung und Auswertung dieser Informationen. Besondere Aufmerksamkeit gilt den weltanschaulichen wie wissenschaftlichen Prägungen der Forschenden, deren Lebensläufe oft unterschiedliche Hintergründe hatten, teils belastet durch NSDAP-Mitgliedschaften. Von Interesse ist dabei, inwieweit sich ein spezifischer Deutungs- und Denkstil bei der zeithistorischen Erkenntnisproduktion am IfZ herausbildete. Darüber hinaus wird beleuchtet, wie und mit welchem Erfolg die Forschenden am IfZ ihre Arbeitsergebnisse in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft trugen und zu welchen Konkurrenzen und Kooperationen es dabei kam. Dies umfasst auch den ambivalenten Umgang mit den Verfolgten des NS-Regimes und mit der frühen (internationalen) Holocaust-Forschung.

Eine Untersuchung dieser Fragen für die 1950er und 1960er Jahre erscheint besonders aufschlussreich, weil das IfZ eine zeithistorische Vorreiterrolle einnahm: Viele der Interpretationsansätze, welche die (deutsche) NS-Forschung prägten, wurden am IfZ entwickelt, wodurch historiographische Pfadabhängigkeiten entstanden. Dies betrifft zum Beispiel die funktionalistische Interpretation des NS-Herrschaftssystems, die jüngere Mitarbeiter wie Martin Broszat ab den 1960er Jahren ersannen und die später konkreten Forschungsprojekten zugrunde lag (Teilprojekt II). Gleichzeitig veränderte sich aber auch der gesamtgesellschaftliche Umgang mit der NS-Vergangenheit. Vor diesem Hintergrund thematisiert das Teilprojekt einige zentrale Kontroversen und Ereignisse mit großer gesellschaftlicher Strahlkraft, etwa die Veröffentlichung von „Hitlers Tischgesprächen“ (1951), die Reichstagsbrand-Debatte oder den Auschwitz-Prozess. Das Erkenntnisinteresse richtet sich dabei in erster Linie auf die Wechselwirkungen, die sich zwischen den Beiträgen des IfZ, dessen Arbeit und der wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus insgesamt ergaben.

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